Vom allein sein, allein reisen und von Menschen, die einsam sind.
Wenn man verschiedene Menschen nach einem Synonym für den Begriff "allein" fragt, nennen viele von ihnen das Wort "einsam". Ich sehe das etwas anders.
Befinde man sich zum Beispiel auf einer Party inmitten von Hunderten Menschen, die tanzen, trinken, lachen, reden und Spaß haben, so ist man zwar auf keinen Fall allein, doch kann man sich trotzdem in gewisser Art und Weise einsam fühlen.
Und macht man allein einen Spaziergang durch den Wald, über Felder oder den Fluss entlang, so ist man zwar nicht in Begleitung, doch muss man dann nicht zwangsläufig einsam sein, insofern man im Einklang mit sich selbst ist.
Ich war früher nie gerne allein, habe mich immer recht schnell gelangweilt, konnte mich nur sehr schwer selbst beschäftigen, wollte immer was mit Freunden oder der Familie unternehmen und wenn das nicht ging, schrieb ich ihnen, damals noch per SMS oder dem guten alten MSN, etwas später dann via Whatsapp und Facebook, nur um mir meine Freizeit zu vertreiben.
Das empfinde ich heute ganz anders. Es ist nicht so, dass mir meine Freunde oder meine Familienmitglieder zuwider sind und ich nichts mehr mit ihnen unternehmen möchte. Ich brauche lediglich nicht mehr stetigen Kontakt zu ihnen. Vielleicht wünschte ich mir das früher, weil ich unter Verlustängsten litt, vielleicht hatte ich Angst, dass, wenn ich nicht ständig präsent sei, sie Interesse an mir verlieren würden. Zum Glück weiß ich heute, dass das überhaupt nicht der Fall ist. Heute weiß ich, dass selbst wenn ich den ein oder anderen mehrere Tage nicht sehe oder spreche, dass er oder sie noch immer ein Mensch ist, auf den ich mich verlassen kann und dem etwas an mir liegt.
Und natürlich gehe ich noch gerne mit ihnen feiern, ins Kino, was Essen oder einfach nur verschimmelt auf der Couch rumliegen, aber etwas mit ihnen zu unternehmen ist für mein Sozialleben inzwischen genauso wichtig, wie eine gewisse Zeit für mich selbst zu haben.
In Ruhe ein herrlich entspanntes Bad zu nehmen, ein gutes Buch zu lesen, eine abnormal lange Runde Sims zu zocken, ein paar Töne auf dem Klavier oder der Gitarre zu klimpern, beim Staubsaugen mal die Performance meines Lebens abzuliefern, die traurigsten Szenen von Scrubs oder Grey's Anatomy zu schauen und dabei zu heulen wie als seien die im Koma liegenden Laverne und Mark Sloan meine Arbeitskollegen und Freunde gewesen, mal so richtig Joggen zu gehen, einen Spaziergang in der Abendsonne auf den Plätzen meiner Kindheit zu machen, mit dem Fahrrad mal kurz rüber in die bayerischen Wälder düsen, einfach in irgendeinen Zug zu steigen und durch die Gegend zu fahren, Musik zu hören, die die Welt bewegt oder einfach nur im Bett zu liegen und nichts zu tun.
All diese Dinge füllen (hin und wieder) meine Freizeit, sehr gerne auch mit anderen Menschen, aber nicht zwangsläufig. Denn ich liebe es, wenn Dinge spontan passieren.
Was ich mir im Moment erträume, ist alleine zu reisen. Nach dem Abiball werde ich für eine Woche nach Helsinki zu meiner Cousine und ihrem Mann fliegen. Das ist schon mal der erste Schritt. Mutti möchte ständig, dass ich noch jemanden mitnehme. Aber viele Menschen, die in Frage kommen, sind entweder anders beschäftigt oder eher weniger flexibel. Und vielleicht klingt das egoistisch, aber ich möchte da keine Kompromisse eingehen und Rücksicht auf andere Menschen nehmen. Vor Ort werde ich das selbstverständlich tun, schließlich möchte ich mich anpassen. Aber ich kann es mir auch sparen, dass eine Amira, die bereits eine Stunde mit mir auf den örtlichen Bus wartet, mir ständig in den Ohren hängt: "Toll, was können die hier eigentlich?! Wäre ich nur mal zu Hause geblieben, anstatt hier jetzt den ganzen Tag in der Pampa rumzustehen und mein Gepäck den finnischen Taschendieben unter die Nase zu halten!"
Natürlich ein überspitztes Beispiel, jedoch möchte ich mir meine Reise nicht durch unnötigen Stress über Situationen, an denen ich nichts ändern kann, vermiesen lassen.
Bereits letzten Sommer bin ich etwa 24 Stunden allein auf die Philippinen gereist. Das habe ich problemlos ausgehalten. Klar muss ich zugeben, dass es vorkam, dass ich mir ein wenig mehr Action in der ein oder anderen Situation gewünscht habe, jedoch empfinde ich es als wesentlich beruhigender, wenn zwei Flüge (8- und 10-stündig) ohne grobe Action verlaufen.
Die erste Woche habe ich dort auch mehr oder weniger allein verbracht, das lag daran, dass meine für mich zuständige Cousine bzw. all meine Verwandten dort zur Arbeit oder zur Schule mussten und es keiner für eine gute Idee hielt, mich als "Weiße" dort groß durch die Gegend laufen zu lassen.
Meine Zeit vertrieb ich mir hauptsächlich mit Lesen (unter anderem Harry Potter und die Heiligtümer des Todes wuhu) und Nachdenken. Zu meinem Glück, oder Unglück, wie es manche sehen, gehört, dass ich ein sehr nachdenklicher Mensch bin und damit manchmal recht viel Zeit totschlage.
Mein 18. Geburtstag ist am 12. März 2015. Meine erste Abitur-Prüfung (Englisch) wird am 13. März 2015 sein. Ihr merkt schon, kein Datum für dicke Parties. Bereits als ich diesen unglücklichen Zufall bemerkte, beschloss ich einfach im Juni eine dicke Party im Sommer steigen zu lassen, wie es damals meine Schwester tat. Etwa 100 Leute, eine mehrstöckige Torte, ein atemberaubendes Kleid, viel zu trinken, ein dickes Buffet und eben alles, was dazu gehört.
Aber eben erst fragte ich mich, ob es überhaupt das ist, was ich möchte. Nicht zuletzt, weil meine Eltern es finanziell momentan nicht ganz so dicke haben, möchte ich das nicht von ihnen verlangen. Was habe ich dann von so einer coolen Party? Nichts, außer die Erinnerung (wenn mir diese noch bleibt) und vielleicht soziales Ansehen, was mir eigentlich recht wurst ist. Trotzdem hätte ich zusätzlich noch die Möglichkeit Spenden für mein Auslandsjahr zu sammeln und nochmal eine Art "Abschiedsparty", um mich von all jenen zu verabschieden, die mich im folgenden Jahr nicht werden begleiten können.
Nun ja, meine Mutter hat mich schon unterschwellig darauf aufmerksam gemacht, dass eine solche Party nicht unbedingt in unseren momentanen finanziellen Mitteln steckt, wenn sie auch nicht unmöglich ist. Mein Vater wird außerdem 60 und wird seinen Geburtstag auch gebührend feiern.
Seit einer Weile bin ich dabei, mir Alternativen zu einer dicken Geburtstagsparty zu überlegen, wo wir wieder beim ursprünglichen Thema "Allein" und vor allem "allein reisen" sind.
Worüber ich mich nämlich auch sehr freuen würde, wäre eine kurze Reise nach Spanien. Ich würde gerne nach Sevilla oder Cádiz, also in den Süden Spaniens, wo man vielleicht auch Einflüsse Marokkos vorfinden könnte - alleine versteht sich.
Obwohl ich bei dieser Reise sogar sehr gerne jemanden mitnehmen würde, nur möchte ich von meinen Eltern keinesfalls verlangen, die Reise für eine zweite Person zu finanzieren und die meisten meiner Freunde sparen bereits für das Leben nach dem Abi und dem Auszug aus dem geliebten Elternhaus. Ich möchte nicht mal von ihnen verlangen, meine Reise ganz alleine zu finanzieren. Ich denke, da würde sich ein Kompromiss finden lassen, denn sie wissen von meinen cleveren Plänen noch nichts.
Zu meinem Vorhaben im Süden Spaniens, sollte ich dort alleine hinreisen: Ich möchte mich nach all dem Stress, den diese erste Hälfte des Jahres 2015 mit sich bringt, entspannen und auch ein wenig belohnen, sollte ich dieses Ding namens Abi mehr oder minder erfolgreich hinter mich bringen.
Meine bisherigen Erfolge im Spanisch-Unterricht waren bisher eher peinlich als glänzend, so würden sich auch in der kurzen Zeit in Spanien mehrere Möglichkeiten anbieten, mein Spanisch aufzupolieren, da ich ja auf die Kommunikation mit Einheimischen angewiesen bin.
Außerdem habe ich irgendwie Lust, mich dort einfach ganz alleine in eine nicht zwielichtig scheinende Bar an den Tresen zu setzen und zu schauen, was der Abend so bringt.
Es klingt zwar komisch, aber ich habe auch Bock zu wandern. Ich hätte nichts dagegen mal einen Tag früh aufzustehen und, selbstverständlich gut vorbereitet, so richtig schön durch die Landschaft zu streifen.
Einen Tag, wenn nicht noch mehr, würde ich ein richtig dickes Kultur-Programm durchziehen: Kathedralen, Paläste, Plazas, Museen oder Brücken besichtigen oder einfach nur durch die Gässchen schlendern. Was mich immer stört, wenn man mit anderen Personen unterwegs ist und Hardcore-Sight-Seeing betreibt ist, dass jeder etwas anderes sehen möchte und sich für unterschiedliche Dinge interessiert. Wenn mal einer stehen bleiben und sich Info-Tafeln durchlesen möchte, hat der andere keine Lust zu warten, da muss man schon flexibel sein.
Ich würde es sehr genießen, mal eine Woche nach meinen eigenen Regeln zu gestalten und mein eigener Chef zu sein. Mir gefällt die Eigenständigkeit, die Unabhängigkeit und die Selbstverantwortung, wenn auch nur von kurzer Dauer in uneingeschränkter Weise.
Kultur würde ich auch sehr gerne im kulinarischen Sinne erleben. Heiße Tapas und fruchtigen Sangria (oder jeden anderen guten, spanischen Wein).
Soviel zu meiner Spanien-Reise.
Nun mal eine andere Anekdote, die sich vor etwa zwei Wochen ereignete. Wegen einer Bewerbung zu einem Auslandsjahr, wurde ich zu einem zwei-tägigen Orientierungsseminar nach Karlsruhe geladen. Dort kamen Menschen aus ganz Deutschland, die alle das gleiche Ziel hatten: Sie wollten ein Jahr im Ausland verbringen. Den Inhalt des Seminars lasse ich jetzt mal raus.
All diese Menschen begegneten sich zum ersten Mal. Für mich war das irgendwie schwierig. Zwar kam ich mit allen, mit denen ich Kontakt hatte, gut klar, konnte gut mit ihnen arbeiten und führte auch den ein oder anderen oberflächlichen Smalltalk mit ihnen, aber als sich nach ein paar Stunden die ersten Grüppchen bildeten, merkte ich schnell, dass ich eigentlich kein Teil davon sein wollte. Obwohl wir alle ein ähnliches Ziel und somit eine Gemeinsamkeit hatten, tickten die meisten einfach anders als ich, nicht als seien sie Sonderlinge oder ähnliches - im Gegenteil, sie waren alle recht gewöhnlich. Mir fiel es schwer, jemanden zu finden, mit dem ich das Wochenende lang rumhängen würde. Auch wenn ich versuchte, auf sie zu zugehen, sie waren nicht abweisend, aber immer wieder fiel mir auf, wie ich ungewollt die Augen verdrehte oder innerlich meinen Kopf gegen eine Wand schlug, wenn sie einfach banale Dinge sagten und somit eine andere, teilweise sehr oberflächliche Sicht auf die Welt offenbarten.
Ich denke, das war das, was mich dort am meisten störte. Die ein oder andere Person faszinierte mich schon. In erster Linie, weil sie Intelligenz, Tiefgang, Humor und/oder Individualismus aufweisten, eben jene Dinge, die ich an meinen Freunden sehr zu schätzen weiß.
Ich verließ das Seminar Richtung Bahnhof mit einer jungen Dame namens Lisa. Wir stellten fest, dass wir den gleichen Weg bis nach Frankfurt vor uns hatten und beschlossen, die nächsten fünf Stunden miteinander zu verbringen. Ich lernte sie relativ früh schon auf dem Weg zum Seminar mit ein paar anderen Mädchen kennen. Sie war recht still und fiel nicht auf, deswegen muss ich zugeben, dass ich es fast schade fand, diese Zeit nicht allein, sondern mit dieser "langweiligen" Fremden zu verbringen.
Ein unbegründetes Vorurteil, wie sich später herausstellte. Wir unterhielten uns sehr angeregt über dieses und jenes in der Welt: sehr belanglose Dinge über unseren Schulalltag, über Reisen, Träume, herzergreifende Dinge und schließlich auch über sehr persönliche Dinge und Verluste. Sie schüttete mir ihr Herz aus und war wie ich sehr überrascht, dass sie mir als einer dahergelaufenen Fremden, ihr Innerstes offenbarte.
Eine Begegnung, die ich sehr zu schätzen weiß. Ich habe gelernt, nicht vorschnell zu urteilen, zuzuhören und dass stille Wasser sehr wohl tief sein können und dass man manchmal seine "comfort zone" verlassen sollte, um Dinge auf sich zukommen zu lassen und zu lernen. Außerdem habe ich an ihrem Beispiel gelernt, dass man obwohl man alles andere als allein ist, sich sehr einsam fühlen kann und das jeder Mensch seine eigene Geschichte hat, ein Päckchen, das er mit sich tragen muss.
Es sind keine neuen Erkenntnisse, die das Jahrhundert für immer in Atem halten werden. Es sind jene Lektionen, die uns all die pseudo-philosophischen Internet-Sprüche lehren sollen, aber es erinnerte mich daran, dass diese Dinge wahr sind, so simpel sie auch scheinen.
Lisa und ich umarmten uns zum Abschied, tauschten aber weder Nummern, noch Namen, Adressen oder sonst was. Eines Tages würde ich sie gerne wieder sehen, würde gerne wissen, ob es ihr gut geht, ob sich ihre Träume erfüllt haben, aber dazu brauche ich ihre Nummer nicht. Ich glaube, an das gute alte "Man trifft sich immer zwei Mal im Leben". Und sie gehört definitiv zu jenen Begegnugen, bei denen ich mir die Wahrheit dieses Sprichwortes nur zu gerne wünschen würde.
Mein Wunsch, ein Auslandsjahr in Indien zu absolvieren, bzw. generell ein Auslandsjahr zu machen, hängt ebenfalls mit diesem "Ich-bin-gerne-allein-Aspekt" zusammen. Auch wenn ich weiß, dass ich mein Leben, meine Familie, meine Freunde, das Essen, einfach alles, was zu meinem Leben hier gehört, extrem vermissen werde, gibt es momentan nichts, was ich lieber täte, als ein Jahr lang, ein anderes Leben zu führen. In einem fremden Land, in einer fremden Kultur, mit fremden Menschen und den Prozess zu beobachten, wie sich all das von unbekannter Fremde zu vielleicht einem zweiten Zuhause entwickelt. Neben diesen gemeinnützigen Aspekten, die mit meiner Arbeit dort verbunden sein werden, klingt Selbstfindung zwar kitschig, ist aber, wie ich denke, genau das, was passieren wird. Wenn man eine längere Zeit abends allein im Zimmer sitzt, Bücher liest, die man schon immer lesen wollte, Briefe schreibt, die man schon immer schreiben wollte und an jene Dinge denkt, über die man schon immer nachdenken wollte - und zwar allein.
Ich glaube, ich befinde mich momentan einfach an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich allein sein muss, um zu mir selbst zu finden. Keinen Mann, nach dem ich mein Leben ausrichte; keine Mama, die mir den Weg weist und keinen anderen Menschen, der mich in seiner Anwesenheit beeinflusst. Menschen beeinflussen mich genügend, wenn ich an sie denke oder über sie nachdenke ;)
Das waren ein paar einfache Gedanken und Erfahrungen zum "Alleinsein". Ich hoffe, Ihr seid nicht eingeschlafen, sondern knüpft an ein paar Gedanken an oder macht Eure eigenen. Warum ich Indien als Wunschland ausgewählt habe, werde ich vielleicht mal in einem zukünftigen Post erläutern.
-Nila
NICK CAVE & THE BAD SEEDS - O CHILDREN